Irgendwann einmal hatten wir den Plan, unsere Tochter mit zwei Jahren in den Kindergarten zu schicken. Das muss gewesen sein als wir noch frisch Eltern waren und dachten, Kinder ließen sich so einfach planen. Da unsere Tochter eher schüchtern unter Fremden und mit Gruppen und Lautstärke überfordert ist, warteten wir noch weiter ab. Vielleicht wäre es mit drei besser?
In diesem Frühjahr schauten wir uns zwei Kitas an, die in fünf Minuten zu Fuß von uns zu erreichen sind. Tochterkind fand das interessant und aufregend, suchte sich in der Bücherei direkt Kindergartenbücher aus und schien sich sehr darauf zu freuen, Kindergartenkind zu werden. Um diese Begeisterung auszunutzen – und auch, weil ich kurz nach ihrem dritten Geburtstag unseren Sohn zur Welt bringen werde – entschieden wir uns, es mit der kleineren Kita (max. 20 Kinder) bereits ab Juni zu versuchen. Die Kita wurde von einem Verein, der aus einer Stillgruppe entstanden ist, gegründet, hat einen ziemlich guten Betreuungsschlüssel und schien uns eher ruhig und entspannt zu sein.
Tatsächlich schien alles zu passen, da Tochterkind in der Zeit davor ihren Wunsch nach Autonomie sehr deutlich machte. Zum Beispiel sollte ich neuerdings auf dem Spielplatz nicht mehr mit ihr irgendwohin gehen. „Du bleibst da sitzen, Mama! Ich kann das alleine.“ Hätte mir das einer in der lange anhaltenden „Mit, mit“-Phase gesagt, ich hätte es nicht geglaubt.
So ging es dann auch in der ersten Woche super los, obwohl mein Mann und ich der ausgewählten Bezugserzieherin eher skeptisch gegenüber standen. Meine Tochter schien sie zu mögen und das war ja die Hauptsache. Ich wurde schon nach kurzer Zeit weggeschickt. Sie wollte ein großes Kindergartenkind sein. Sie setzte sich sichtbar unter Druck all die Regeln schnellstens zu lernen, alles gut und richtig zu machen, selbst wenn sie die Regeln so gar nicht nachvollziehen konnte.
Ich haderte etwas mit dem Umstand, dass es in meinen Augen zu viele unnötige Regeln gab und das mein Kind für jeden Furz und Feuerstein überschwänglich gelobt wurde. So ist die Gesellschaft eben und wir wollen ja, dass sie ein Teil davon ist, auch wenn die Haltung gegenüber Kindern leider meist nicht unserem Ideal entspricht. Ich fand es etwas schade, dass viele Angebote zwar nett ausgedacht waren, aber in der Umsetzung an den Kindern vorbei gingen. Während meiner Arbeit beim Sozialpädagogischen Institut in Köln hatte ich allerdings ganz andere Zustände in Kitas gesehen, so dass ich im Grunde zufrieden sein konnte. Irgendwas ist immer, dachte ich mir.
In der zweiten Woche wurde meiner Tochter der Druck, den sie sich auch selbst machte, zuviel. Der Stuhlkreis war durch die Lautstärke besonders fies. Sie wollte, dass ich noch da bleibe, was für mich vollkommen ok war. Schließlich konnte sie ja noch zu niemandem eine Bindung aufgebaut haben in den wenigen Stunden (4×2,5 Stunden). Leider sah das die Erzieherin anders. Das Kind hatte es doch schon gut gemacht, den Erfolg müsse man weiter vorantreiben. Als ich mich weigerte zu gehen, war sie deutlich angefressen. Meine Tochter, die das leider alles mitbekommen hatte, rastete auf dem Heimweg zum ersten Mal in ihrem Leben total aus. Sie schrie, schlug und ließ sich durch nichts beruhigen. Erst zuhause sank sie in meine Arme und schlief sofort ein.
Also folgte am nächsten Tag ein Gespräch mit den beiden Erzieherinnen, die selbst auch den Wunsch hatten, die Situation zu besprechen. Ich erklärte, wie im Aufnahmegespräch, dass wir Zeit für eine sanfte Ablösung haben und ich nicht gehe, wenn mein Kind noch nicht so weit ist. Wenn sie das nicht leisten könnten, wäre ich nicht böse, würde aber abbrechen, da wir den Kiga schließlich nicht wirklich brauchen. Sie versicherten mir, dass es alles kein Problem sei, auch wenn sie fänden, dass es anders für mein Kind leichter wäre.
So ging es noch einige Male. Zwar bemühte sich die Bezugserzieherin nach unseren Gesprächen sehr, unsere Vorstellungen umzusetzen, aber sobald meine Tochter „funktionierte“ zog sie sich zurück und erwartete, dass das auch weiter so geht. Es war ein Auf und Ab, das sich nicht aufzulösen schien, da unsere Haltungen zu sehr auseinander gingen. Ich blieb stur und schaffte es, meiner Tochter die Sicherheit zu geben, die sie brauchte, indem ich im Gebäude blieb, solange sie es wollte. Die Erzieherin gab sich weiter Mühe und in der Woche vor den Ferien war meine Tochter dann jeden Tag von 9-12.30 Uhr alleine dort.
Der Druck, der immer mal wieder zunahm, blieb bei mir, so dass mein Bauch sich einfach nicht wirklich entspannen konnte. Vor den Ferien gab es in einem letzten Gespräch die mehr oder weniger direkte Ansage, dass es dann nach den Ferien „richtig losgehen“ sollte und wir das unserer Tochter so auch sagen. Übersetzt hieß das: kein Hin- und Her mehr, die Mama geht nach Hause!
Jetzt sind zweieinhalb der drei Wochen Schließzeit um und als ich gestern meiner Tochter sagte, dass ab kommender Woche wieder Kindergartenzeit wäre, fragte sie mich, ob sie da denn wieder hin müsse? Es würde ihr dort keinen Spaß machen. Auf meine Frage, ob sie dann nicht das Basteln, Spielen und die Kinder vermissen würde: „Vielleicht ein bisschen Mama, aber wir können zuhause auch basteln, oder?“ Wir unterhielten uns noch ungefähr 15 Minuten. Sie erklärte mir, dass sie lieber auf ihren kleinen Bruder aufpassen wolle, wenn der da sei. „Wenn der Bruder weint, dann kann ich ihn im Kindergarten ja gar nicht hören!“ Ich wiederum erklärte ihr, dass es nicht geht, dass sie mal hingeht und dann wieder nicht. Ihre klare Antwort: „Ja, ein anderes Kind soll meinen Platz haben!“
Sie war ganz ruhig, ernst, unaufgeregt und sicher. Ich merkte, wie sich ein Knoten der Anspannung löste. Denn mein Bauch war schon die ganze Zeit der Meinung, dass diese Kita, jetzt und so wie sie ist, nicht das Richtige für uns ist. Ich hatte mir für mein Kind eine Bezugsperson gewünscht, die sie richtig gern hat und die sich freut, dass sie kommt und nicht nur will, dass sie funktioniert. Herzlichkeit, Bindung und Spaß sind einfach nicht richtig zustande gekommen.
Eine Freundin erzählte mir, wie verliebt ihr Sohn in seine Erzieherin sei und die auch in ihn. Er läuft freudestrahlend zu ihr und kuschelt. Bei uns dauerte es Wochen bis meine Tochter die Bezugserzieherin anfasste, von kuscheln kann da keine Rede sein.
Die ganze Zeit hatte sie immer wieder gesagt, dass sie in den Kindergarten will, weswegen ich mit der Eingewöhnung weiter machte und mein Bauchgefühl ignorierte. Es schien ihr auch gut zu gehen. Sie schlief gut, erzählte von der Kita und wir konnten keine Anzeichen für großen Stress erkennen. Es war ihr so wichtig, ein großes Kindergartenkind zu sein, es zu schaffen. Ich finde, sie hat es auch geschafft und sich dann entschieden, dass sie es nicht möchte.
Ich gebe zu, dass mir die erhoffte Entlastung fehlen wird und ich auch an manchen Tagen Respekt davor habe, den ganzen Tag mit zwei Kindern wuppen zu müssen. Aber so wie es war, war die Kita für uns ohnehin eher eine Belastung. Jetzt können wir wieder ausschlafen und kuscheln morgens, mittags braucht Tochterkind meist keinen Mittagsschlaf mehr und abends fällt sie um kurz nach acht zufrieden ins Bett. Wir können weiter in unserem Rhythmus ohne Zeitplan in den Tag leben und ich bin mir sicher, dass wir das auch mit Baby hinbekommen. Anstrengend wird es sicher, aber he – anstrengend ist der Job eben.
Eure Julia aus der guten Kinderstube
Absolut richtige Entscheidung. Kindergartenfrei.org 😊