Bedürfnisorientiertes Familienleben: zweiter Teil

10.30.2014

Werte, Grenzen und Konsequenz

Man
Das Man ist überall dabei, doch so, dass es sich auch schon immer davongeschlichen hat, wo das Dasein auf Entscheidung drängt. Weil das Man jedoch alles Urteilen und Entscheiden vorgibt, nimmt es dem jeweiligen Dasein die Verantwortlichkeit ab.
Das Man kann es sich gleichsam leisten, dass sich ständig auf es beruft. Es kann am leichtesten alles verantworten, weil keiner es ist, der für etwas einzustehen braucht. (…) – Martin Heidegger

Werte

Erst seit ich Mutter bin, ist mir so richtig klar geworden, welch große Rolle das Man in unser aller Leben spielt. „Das macht man nicht!“, „Man spielt nicht mit dem Essen!“, „Man ist nicht laut und unbequem (schon gar nicht als Frau)!“, „Man muss Danke sagen.“
Das Man hat uns alle erzogen und es erzieht noch immer mit. Die Man-Regeln gründeten sich auf allgemeine Werte, die in unserer Gesellschaft vertreten werden oder wurden. Ordnung, Disziplin, Sauberkeit, Respekt fallen mir da spontan ein.

Bis zu einem gewissen Grad haben diese Man-Regeln sicher ihre Berechtigung. Schließlich ist es für das Zusammenleben der Menschen wichtig, dass sich alle an grundsätzliche Regeln halten. Im Gegensatz zu unseren Gesetzen, die ja ebenfalls Grundwerte schützen, sind Konventionen und Werte aber nicht fest, sondern individuell und ständigem Wandel unterworfen. Einen Konsens über Werte, und vor allem zur Umsetzung dieser durch Regeln, gibt es meines Erachtens nach nicht mehr. Und das finde ich persönlich auch völlig in Ordnung und gut so.

Zwar ist es vielleicht manchmal einfacher, die bestehenden Regeln unreflektiert anzuerkennen und umzusetzen, aber – wie Heidegger es oben auf den Punkt bringt – es entmündigt auch und schiebt die Verantwortung weg.

Eltern sein hat für mich aber so viel mit Verantwortung zu tun. Mit Liebe, Glück, Nähe, Spaß, Konflikten, Reibereien, Zusammenraufen, Verlässlichkeit und Geborgenheit – aber eben auch mit Verantwortung auf Seiten der Eltern. Für mich ist Eigenverantwortung sehr wichtig, so wichtig, dass ich sie meiner Tochter vorleben möchte und hoffe, dass auch sie sie erlernt. Für das eigene Handeln, die eigenen Worte und Taten Verantwortung zu übernehmen, das heißt auch, seinen Lebensweg in die Hand zu nehmen, ihn aktiv zu gestalten.

Als Mutter versuche ich daher, alle Regeln einem Familien- und Alltagstauglichkeits-Check zu unterziehen. Finde ich wirklich, dass man jemandem die Hand geben muss? Oder finde ich es wichtiger, das nur zu tun, wenn man den anderen auch anfassen will? Finde ich es wichtiger, dass mein Kind ordentlich aussieht oder soll es selbst entscheiden können, was es anziehen will und ob die Haare frisiert werden? Muss mein Kind teilen oder darf es auch nein sagen, wenn ein anderes Kind seine Spielsachen haben will?
Darf man auf dem Tisch tanzen? Bei uns schon, aber nicht während der Mahlzeiten. Darf man Bohnen im Wohnzimmer verteilen? Ja, denn ich muss so oder so aufräumen und was ich aufräume ist letztlich Wurscht.

Ich gebe zu, dass das nicht immer so einfach ist. Schließlich habe ich selbst viele „Mans“ in meinem Denken und nicht alle sind so einfach abzulegen. Es ist mir zum Beispiel peinlich, wenn unser Haus unordentlich oder noch schlimmer dreckig ist, wenn Besuch kommt. Ich finde es unangenehm, wenn mein Kind zu anderen sagt: „Nein, Du sollst weggehen!“ Sowas macht man doch nicht, oder? Aber ich lerne täglich dazu und ordne meine Werte neu.

Grenzen

Kinder brauchen Grenzen. Aber welche?
Durch das Überdenken unserer Werte, haben sich auch die Grenzen in unserer Familie geändert. Wir setzen nur unsere eignen, persönlichen Grenzen, da all die Regeln wegfallen, die das Man vorschreiben würde.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es für Kinder, ebenso wie für jeden Menschen, wichtig ist, die Grenzen des Gegenübers deutlich zu spüren, um sich sicher zu fühlen und sich in der Situation orientieren zu können. Setze ich meine Grenzen, dann gebe ich meiner Tochter Sicherheit, Verlässlichkeit und bin authentisch. Gleichzeitig lebe ich ihr vor, wie wichtig es ist, seine Grenzen zu spüren, ernst zu nehmen und sie zu setzen.

Wenn ich ehrlich bin, schaffe ich das noch nicht immer. Ich merke immer mal wieder, dass ich schon weit über meine Grenze gegangen bin und darunter leidet dann die ganze Familie. Manchmal lässt sich das nicht verhindern, z. B. wenn mein Bedürfnis nach Zeit für mich auf der Strecke bleibt, weil mein Mann viel arbeiten muss. Aber es gibt auch Situationen, in denen ich meine Grenzen nicht spüre. Daran arbeite ich derzeit.
Meiner Tochter kann ihre Grenzen meist schon recht gut setzen, braucht mich aber vor allem Fremden gegenüber noch als Hilfe, z. B. wenn sie ungefragt und ungewollt angefasst wird.

Konsequenz

Noch vor zwei Jahren hätte ich eindringlich betont, wie wichtig es ist, in der Erziehung konsequent zu sein, das heißt, eine aufgestellte Regel immer durchzusetzen. Wird die Regel nicht beachtet, hat das Konsequenzen. Wenn man das Gemüse nicht isst, dann bekommt man keinen Nachtisch. Ausnahmen sind nur selten zugelassen.

Mittlerweile halte ich nicht mehr allzu viel von dem Wort Erziehung und sehe Konsequenz vor allem als Folge einer Handlung. Wenn ich mich fallen lasse, plumpse ich auf den Boden. Wenn meine Tochter auf dem Stuhl hampelt, fällt sie herunter und tut sich weh. Wenn ich kein Gemüse esse, ist kein Gemüse in meinem Bauch. Punkt. Mit Nachtisch hat das erst einmal nichts zu tun.
Denn keinen Nachtisch zu bekommen, wäre eine Strafe und die lehne ich ab. Meine Tochter darf demnach beim Essen auch nur Nachtisch essen, wenn sie das will. Es gibt bei uns ohnehin nicht so viel Süßes, dass ich mir da Sorgen machen müsste und der Nachtisch ist meist Obst. Schließlich entscheiden wir, welche Nahrungsmittel es in unserem Haushalt überhaupt gibt.

Und doch gibt es bei uns auch Regeln, die eingehalten werden sollen. Ich will nicht, dass irgendwo gemalt wird außer auf dafür vorgesehenem Papier. Das sehe ich jeden Tag so. Genauso verhält es sich mit Regeln wie, niemandem weh zu tun und nichts absichtlich kaputt zu machen. Andere Dinge wiederum hängen von äußeren Faktoren ab. Meine Tochter kann beispielsweise lauter sein, wenn ich ausgeschlafen und gut gelaunt bin, dagegen zeige ich bei Krach meine Grenze recht schnell, wenn ich müde bin und Kopfschmerzen habe.

Bisher fahren wir damit als Familie sehr gut. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir mehr Regeln und Gehorsam brauchen, irgendwer ohne Grenzen und unzufrieden, außer Rand und Band oder tyrannisch ist. Ich empfinde unseren Umgang miteinander als respektvoll und einfühlsam und genieße das sehr.

In der kommenden Woche erzähle ich euch dann aber auch mehr darüber, wie wir mit Konflikten umgehen, die es bei uns wie in allen Familien selbstverständlich auch gibt.

Eure Julia aus der guten Kinderstube

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