Der erste Schnee

12.28.2014

Es gibt so wunderweiße Nächte 

Es gibt so wunderweiße Nächte,
drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind.

Weit wie mit dichtem Diamantstaube
bestreut, erscheinen Flur und Flut,
und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut.

Rainer Maria Rilke
(1875-1926)

Ich liebe den Schnee. Vor einigen Jahren war ich am Tag des ersten Schnees in Mainz verabredet. Es war ein Abend zwischen Weihnachten und Silvester, in dieser zeitlosen Zeit zwischen den Jahren. Ich fuhr damals mit dem Bus in die Stadt, stieg an der ersten Haltestelle am Schloss aus und lief weiter, da der Bus, in dem ich saß, kein Durchkommen sah und  seine Fahrt beenden musste. Wenige Autos fuhren sehr langsam weiter.

Ich hingegen war voller Energie, genoss es, den flauschigen Flocken zuzusehen, die im Schein der Laternen auf den Weg vor mir rieselten und fühlte mich kurz wieder wie ein Kind. Dieser Spaziergang durch die Nacht, mit seinem Duft nach Schnee, dem Knarzen unter meinen Schuhen und der Klarheit der Kälte ist mir ebenso präsent wie das Gefühl, morgens aus meinem Kinderzimmerfenster auf das erste Weiß zu schauen und mit dem Schlitten den kleinen Hügel in der Nähe meines Elternhauses hinunter zu rauschen.

Heute morgen war es wieder soweit. Mein Tochterkind und ich schliefen bis halb elf und kuschelten und stillten noch ein paar Minuten im Bett. Die Fensterläden waren geschlossen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es geschneit hatte – endlich auch bei uns.

Als mein Mann kam, uns einen guten Morgen wünschte und sagte: „Ich habe schon mal rausgeschaut.“, stand ich schon mit meiner Tochter auf dem Arm im Flur. Der erste Schnee des Jahres und der erste bewusst wahrgenommene Schnee für meine Tochter überhaupt. Denn ich nehme mal an, dass sie sich an den vom vorletzten Jahr nicht mehr erinnern kann. Im letzten Jahr hatten wir hier keinen.

Sie stand also am Fenster und staunte mit großen Augen. „Mama, die Baumäste sind auch verschneet! Und die Autos, auch verschneet.“ Sofort wollte sie mit ihrem neuen Schlitten raus und war etwas enttäuscht, als wir ihr erklärten, dass es dazu noch etwas mehr schneien muss. Doch die Aufregung war spürbar, genau so wie ich sie aus Kindertagen erinnere.

Ich hoffe also, dass es die nächsten Tage noch viel mehr Schnee geben wird – auch wenn viele Autofahrer fluchen und es zwischendurch matschig wird und nasskalt. Das ist mir alles egal. Ich freue mich darauf, mit meiner Tochter Schlitten zu fahren, ihr das Knarzen zu zeigen, den Schnee zu schmecken und hoffe, das auch sie diese Magie spüren kann.

Eure Julia aus der guten Kinderstube

 

2 Comments

  • Nina sagt:

    Oh, ja. Genau so wie du es beschrieben hat, habe ich das früher auch erlebt. Dieser Moment, wenn man das Rollo hochzieht und sieht, dass es draußen weiß ist <3

    Unsere Mädels sind gestern früh direkt rausgestürmt. Den ganzen Vormittag über gab es kein Halten mehr.
    Heute ist der ganz Schnee bei uns leider überfroren. Aber ich hoffe, dass in den nächsten Tagen etwas neuer dazu kommen wird.

  • Julia sagt:

    Bei uns schmilzt es immer so schnell. Gehen jetzt zum Schlitten fahren raus, bevor er weg ist. Töchterchen will auch einen Schneemann bauen. Juhuu!

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