Stillen in der guten Kinderstube
Wenn ich heute gefragt werde, warum ich meine Tochter noch immer stille, dann antworte ich ganz ehrlich: Weil es keinen Grund gab aufzuhören.
Wir genießen es beide und es hat uns über so viele schwierige Situationen geholfen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie wir diese in nicht absehbarer Zukunft ohne die gute „Busipt“ lösen werden. Klar, kuscheln, trösten und Nähe fühlen kann man auch ohne Muttermilch. Aber bei Krankheit, schlechter Laune, Stress und Überdrehtheit ist das Stillen die Waffe schlechthin – für beide Seiten. Im Sinne der Bedürfnisorientiertheit bleiben wir also dabei bis sich ein Bedürfnis ändert.
Ein guter Start
Der Anfang unserer gemeinsamen Stillbeziehung war auch wirklich sehr einfach. Zwar hatte ich für ein paar Tage wunde Brustwarzen, doch sonst gab es nie Probleme. Als das Tochterkind geboren wurde, per Kaiserschnitt nach unzähligen Stunden Wehen, zeigte mir meine Hebamme im Kreißsaal einmal wie man das Baby im Liegen an die Brust anlegt. Gierig trank mein kleines Wunder „drei Brüste“ wie die Hebamme es nannte. Wir verbanden uns sofort und es fiel uns von da an ganz leicht. Zum Glück, denn im Krankenhaus war die Hölle los und bis zum dritten Tag, an dem ich eigentlich nach Hause wollte, stillte ich ohne jegliche Unterstützung, allerdings auch ohne jegliches Dazwischenfunken durch fremde Hebammen oder Krankenschwestern. Lediglich eine ältere Krankenschwester versuchte mir am zweiten Tag einzureden, dass ein Stillabstand von vier Stunden möglichst nicht unterschritten werden sollte. Wieder einmal war ich froh, dass ich mir vorher mithilfe von Ratgebern eine eigene Meinung gebildet hatte.
Es pendelt sich ein
Ich stillte also nach Bedarf. Nach circa sechs Wochen verringerte sich die anfangs übermäßige Milchproduktion, meine Brust lief nicht mehr aus. Was war ich froh, keine BHs und Stilleinlagen mehr zu brauchen. Mein Tochterkind trank fünf Minuten, eine Brust und das klappte immer und überall – im Sitzen, Liegen, Stehen oder Gehen. Bis ich aufhören konnte, die Mahlzeiten zu dokumentieren dauerte es länger. Schließlich fragten alle (Arzt, Hebamme etc.) wie oft und wie lange meine Tochter trinken würde, also musste das ja wohl wichtig sein. Erst als eine Bekannte, Mutter zweier Kinder, mir lachend sagte, das ich mich jetzt aber wirklich mal entspannen könne, setze sich der Kontrolletti in mir zur Ruhe. Sollte ich noch ein Kind bekommen, lasse ich es gleich.
Schwierig fand ich allerdings zeitweise das Gefühl, durch mein Essen für die Bauchschmerzen meiner Tochter verantwortlich zu sein. Ich ließ viele Lebensmittel für einige Zeit weg und kam dann zum Glück irgendwann zu dem Ergebnis, dass es keinen Zusammenhang gab. Sowohl die Hebamme als auch der Kinderarzt waren ohnehin der Meinung, dass mein starker Milchspendereflex und ihre Art zu Trinken die Ursache war. Wir behandelten ihre Blähungen mit Kümmelzäpfchen und Lefax, was prima klappte.
Die Beikosteinführung
Nach einem halben Jahr starteten wir langsam mit der Beikost. Meine Tochter fand das sehr spannend und aß mal mehr und mal weniger, nie allerdings die in den Büchern geforderten Mengen für eine „zu ersetzende“ Mahlzeit. (Warum auch sollte BEIkost eine Mahlzeit ersetzen?) Schließlich verweigerte sie den Brei mit 10 Monate völlig und bediente sich freudig vom Familientisch. Bis heute isst sie nichts mit breiiger Konsistenz. Abzustillen wäre damals nur mit dem Einsatz von Milchpulver möglich gewesen, was ich völlig unsinnig fand. Ich lernte, dass Muttermilch im kompletten ersten Lebensjahr das Hauptnahrungsmittel ist.
Die Umwelt
Ungefähr in dieser Zeit wurden die Fragen von außen häufiger und ungläubiger. „Was? Du stillst immer noch?“, „Wie lange willst Du denn noch stillen?“ Sicher waren diese Fragen nicht böse gemeint. Viele Blicke und Fragen kamen einfach daher, dass wir es in unserer Gesellschaft nicht mehr kennen. Kleine Babys werden gestillt, aber nach einem halben Jahr oder spätestens wenn das Baby mobil wird, hört „man“ auf. Ich selbst hatte ja vorher nicht gedacht, dass ich so lange stillen würde und fand es ehrlich gesagt auch befremdlich. Waren das nicht alles bindungsgestörte Hippiemütter? Wurde ich jetzt auch so eine? Ja, auch ich denke in Schubladen. Ich arbeite daran.
Deshalb ließ ich mich eine Weile verunsichern, fühlte mich unwohl und überlegte, nicht mehr in der Öffentlichkeit zu stillen. Doch dann wurde mir klar, dass genau das dazu führen würde, dass das Stillen immer weiter als unnormal empfunden wird. Nur was man regelmäßig sieht, nimmt man als normal war, es wird zur Sehgewohnheit. Also reagierte ich sicherer und beantwortete alle Fragen freundlich. Wirklich kritisiert wurde ich nie.
Ich weiß, dass viele Menschen es noch immer seltsam oder sogar unangebracht finden, ein Kind mit über einem Jahr zu stillen. Auf Facebook wurde der Brief an meine Tochter sogar deshalb als „nicht ernstzunehmen“ bezeichnet. Da bringt es auch wenig, mit Fakten und Zahlen aus der Evolutionslehre und anderen Ländern um sich zu werfen. Es ist in unserer Gesellschaft nun einmal so, dass wir es normal finden, überall gephotoshopte Frauen und Männer zu sehen, aber bei einem Kleinkind an einer Brust verwirrt oder gar abgestoßen sind. Ich stille nicht in der Öffentlichkeit um zu missionieren oder zu provozieren. Ich hoffe schlicht, dass es irgendwann wieder so normal ist, dass es gar keinem auffällt – gerade so als würde das Kind ein Fläschchen bekommen.
Leider habe ich keine schönen Bilder von meiner Tochter und mir beim Stillen, zumal ich nicht möchte, dass sie im Internet auf Bildern zu erkennen ist. Deshalb stammen die wunderschönen Bilder in diesem Artikel von Corinna vom Projekt StillLieben. Auch sie kämpft mit ihrer Arbeit für mehr Normalität für das Natürliche. Mit die Stillfotografie plädiert sie für mehr Toleranz und Akzeptanz der Stillbeziehung. Mehr Bilder findet ihr hier auf ihrer Facebookseite und www.milano-fotodesign.de.
Liebe Julia – wie wahr deine Worte doch sind. Und eine tolle Vision die du da hast: dass es normal ist, dass eine Mama ihr Kind stillt – egal wann und wo, so lange es dem Bedürfnis der beiden entspricht!
Ich lese deine Artikel aber vor allem deshalb so gerne, weil aus Ihnen eine so tiefe Liebe und Ehrlichkeit spricht – vielen Dank dafür!
~ Tabea
Hallo liebe Julia,
dieser Post hätte von mir sein können, denn genau so ist es bei mir auch gewesen und immer noch. Von der Geburt, der Stillsituation im Krankenhaus, dem Brei und der Beikost, bis hin zum jetzigen Stillen. Einzig der Unterschied ist, dass es mein zweites Kind ist. Beim ersten Kind war alles anders…leider!
Vielen Dank für den schönen Post und für die zauberhaften Bilder.
Liebe Grüße, Tanja
Hallo Tanja,
es ist doch umso schöner, dass Du das erleben darfst. Genieße es solange es dauert. Mir hat gerade eine Freundin, deren Tochter sich schon nach circa einem Jahr selbst abgestillt hat, erzählt, wie sehr sie es vermisst. Ich sehe es tatsächlich als großes Geschenk.
Liebe Grüße