Mommy Wars – oder die Sache mit der Erziehung

12.29.2014

Kampf an allen Fronten?

Überall und immer wieder hört man von den Mommy Wars, die in Deutschland herrschen. Mütter bekriegen sich, kritisieren sich gegenseitig, sind verunsichert oder bekommen harmlose Kritik in den falschen Hals. Es gibt Fronten und doch scheint jede Mutter allein zu kämpfen. Dazu kommen viele Artikel in der Presse, die uns Labels verpassen: Working Mom in der Vollzeit-Rabenmutter-Variante oder in der Teilzeit-Falle, Stay-At-Home-Mom mit Latte Macchiato und Schneewittchenkomplex oder Helikopter-Eltern. Bei letzterem Stempel werden wenigstens auch die Väter mal miteinbezogen.

Meine Erfahrung

Ich wurde schon recht offen kritisiert, habe mich manchmal sehr beäugt gefühlt und sicher auch manches Interesse als Bewertung missinterpretiert. Ich persönlich war auch streckenweise sehr unsicher und musste meinen Weg erst finden. Seit mir das gelungen ist, bin ich wesentlich gelassener. In dieser Zeit aber hätte ich mir mehr Rückhalt gewünscht. Dennoch muss ich mich fragen, ob ich den Müttern, die alles so ganz anders machen als ich, bisher Rückhalt gegeben habe? Ich habe nämlich auch schon oft Kritik geübt, im Stillen, vielleicht unbewusst mit Blicken oder auch ganz offen.

Die Zusamamas auf Facebook kämpfen für mehr Respekt und weniger Krieg.

 

Es gibt Mütter, die früh abgestillt haben, wieder arbeiten gingen und auch wesentlich autoritärer mit ihren Kindern umgehen als ich, die ich in ihrem Weg bestärkt habe. In diesen Fällen war (und ist) mir bewusst, dass sie einfach ihren Weg gehen. Und seien wir mal ehrlich: Egal welchen Weg man mit Kindern wählt, es gibt immer anstrengende Tage, an denen man zweifelt und Bestärkung brauchen kann. Bei diesen Familien hatte und habe ich aber auch den Eindruck, dass es allen Beteiligten miteinander gut geht und sie liebevoll sind.
Bei anderen Familien habe ich ganz andere Situationen bezeugt. Da wurden Kinder gedemütigt und grob behandelt. Die Eltern waren dauernd genervt und unzufrieden, weil das Kind nicht funktionierte und die Kinder quengelig und traurig, weil es ihnen einfach nicht gut ging. In diesen Fällen fällt es mir sehr schwer, nicht zu kritisieren, sondern offen zu bleiben. Einige Bekanntschaften sind diesem Dilemma ehrlich gesagt ein Stück weit zum Opfer gefallen.

Gibt es eine Lösung?

Für mich liegt die Lösung in meinem eingeschlagenen Weg. Ich habe mich bewusst entschieden, meine Tochter nicht im traditionellen Sinn zu erziehen. Erziehung heißt für mich, dass Person A etwas bewusst tut, um Person B, die Defizite hat, zu berichtigen und zu manipulieren. Erziehung, das liegt in der Natur jeder Methode, macht aber immer eine Person zum Machthaber und eine zum Objekt von Erziehung. Im bedürfnisorientierten Familienleben geht es also nicht um Erziehung, sondern um Beziehung.

Unerzogen?

Es gibt sehr viele Menschen, die das als unerzogen bezeichnen. Ich mag diesen Begriff aber nicht. Versteht mich nicht falsch: Ich bin in einer tollen Facebook-Gruppe, die sich unerzogen nennt und habe auch die gleichnamige Zeitschrift abonniert (sehr empfehlenswert!). Trotzdem habe ich zwei Probleme mit diesem Begriff.
Erstens geht die Unerzogen-Bewegung in manchen Bereichen weiter als ich es derzeit gut finde. Während ich nämlich davon überzeugt bin, dass kleine Kinder in manchen Bereichen Führung brauchen und „reguliert“ werden müssen, gehört zum unerzogen in den meisten Familien auch die Selbstregulation. Ich lehne das auch nicht grundsätzlich und in allen Fällen ab, aber für meinen Bauch geht es ab und an zu weit.
Zweitens wird der Begriff von außen fast umgehend mit der antiautoritären Erziehung oder gar dem laissez-faire gleichgesetzt. Das ist zwar falsch, da ja beides eine Art der Erziehung ist, aber unheimlich schwer zu erklären. Die Missverständnisse sind meiner Erfahrung nach kleiner, wenn man von Bedürfnisorientiertheit spricht.

Beziehung geht vor Recht haben

Bedürfnisorientiert oder unerzogen zu leben ist eine Haltung und keine Methode. Deshalb hat sich in mir nicht nur etwas gegenüber meiner Tochter verändert. Ich habe eine ganz neue Haltung gegenüber Menschen entwickelt. Das fängt bei mir selbst an, geht mit meiner Familie weiter und dehnt sich in die Außenwelt aus. Ich bin grundsätzlich respektvoller und erkenne die Würde jedes einzelnen stärker an. Bei den Menschen, die mir wichtig sind, geht mir die Beziehung jetzt immer vor. Das heißt, es ist mir wichtiger, dass man sich gegenseitig versteht und achtet als Recht zu haben und den Anderen zu überzeugen – oder eben zu erziehen.
Mir gelingt das noch nicht immer so wie ich es für ideal halte, aber ich arbeite weiter daran, reflektiere mein Verhalten und übernehme Verantwortung.
Wenn ich aber Zeuge bin, wie ein Kind klein gemacht und verletzt wird (seelisch oder körperlich), dann bin ich oft noch immer ratlos. Aber ich habe schon lange aufgehört, liebevolle Menschen zu verurteilen, weil sie nicht mit ihrem Kind in einem Bett schlafen, einen Kinderwagen haben, arbeiten oder zuhause bleiben, weil sie ihrem Kind Zucker oder nur veganes Essen geben, den Rucksack bis in den Klassenraum tragen oder auf dem Spielplatz in ihr Smartphone starren. Das alles sind nur oberflächliche Symptome und mit liebevollem Verhalten durchaus vereinbar.

Und die Anderen?

Tja, die anderen Eltern kann ich auch nicht ändern. Im Zweifel halten sie ihren Weg für genauso richtig wie ich meinen. Und das ist ihr gutes Recht. Erst, wenn das Kindeswohl tatsächlich gefährdet ist, würde ich einschreiten. Ansonsten meide ich solche Familien oder wenn sie mir sehr wichtig sind, hoffe ich, durch Vorleben, Gespräche und Empathie zu einer guten Beziehung zu finden.
Denn Jean-Jaques Rousseau sagte mal: „Viele Kinder haben schwer erziehbare Eltern!“ Und wir wollen ja nicht erziehen sondern in Beziehung sein.
Für alle die bei Facebook sind und sich gegen Mommy Wars aussprechen, empfehle ich die Gruppe der Zusamamas mit dem Leitspruch: Love more – judge less!

Eure Julia aus der guten Kinderstube

7 Comments

  • Tabea sagt:

    Was du im zweiten Absatz unter "Beziehung geht vor Recht haben" schreibst spricht mir aus der Seele. Gleichzeitig ist das oft einfach eine grosse Herausforderung an einen persönlich!

    Die von dir empfohlene FB-Gruppe werde ich mir gleich mal anschauen 🙂

    Ergänzend möchte ich schreiben, dass ich Eltern mit anderen Ansätzen oder einem anderen Umgang total interessant finde, denn oft kann ich mir dennoch "etwas" rausziehen für mich und mein Leben – und sei es eine Festigung meiner eigenen Position.

    Ich finde es gut, dass wir einen unterschiedlichen Umgang mit unseren Kindern pflegen – nur so können wir doch überhaupt voneinander lernen!

    Der "Love more"-Leitspruch beinhaltet noch etwas anderes wertvolles: ein Mensch der echt geliebt wird tut sich viel leichter diese Liebe auch weiter zu geben … echtes zuhören, echtes Interesse … DAS brauchen wir Mamas. Ein guter Vorsatz für 2015 dies im eigenen persönlichen Umfeld noch häufiger weiterzugeben.

    Danke für den Anstupser!
    ~ Tabea

  • Julia sagt:

    Liebe Tabea,
    Danke für Deine Worte. Ja, das stimmt. Wir alle, jung und alt, wollen gesehen werden und uns geliebt fühlen. Ein guter Vorsatz für das nächste Jahr.

    Bin gespannt, ob ich Dich dann am 1.1.2015 in der unerzogen-Gruppe entdecke. Die Admins nehmen immer nur einmal im Monat auf. Ich kann es nur empfehlen, denn dort begegnen einem sehr nette Menschen, die mir schon an schweren Tagen bei den Herausforderungen geholfen haben. Online-Clan par excellence!
    Liebe Grüße
    Julia

  • mrscgn sagt:

    Liebe Julia,

    sehr interessiert habe ich Deine Posts gelesen. Grundsätzlich stimme ich Dir in sehr vielem zu, ich würde vieles wahrscheinlich nur anders formulieren. Ich bin quasi "Jesper-Juul"-sozialisiert, ich halte viel von dem Konzept Gleichwürdigkeit (statt Gleichwertigkeit) und natürlich von der Verantwortung. Letzteres ist ein besonders großes Thema bei mir … Ob wir den Umgang mit den Kindern Erziehung nennen oder nicht, ist mir ehrlich gesagt, nicht wirklich wichtig. Schließlich geht es darum, dass sich unsere Kinder in dieser Welt zurechtfinden, dass sie mit anderen selbstbewusst interagieren können, dass sie auf ihre Bedürfnisse und jene der anderen achten.

    Zwei Dinge möchte ich anmerken:
    a) Die Sache mit dem Gemüse und Nachtisch. Ich gehe davon nicht ab, weniger wegen der Strafe (ist es wirklich eine?) oder gar aus Angst, mein Kind würde zu viel Süßes essen. K2 ist 7 Jahre alt und sehr schlank. Ich halte daran fest, dass es keinen Nachtisch gibt, wenn Gemüse nicht wenigstens probiert wird. Das eine Teil sollte also gegessen werden. Wenn das in den Bauch nicht mehr reinpasst – wie kann dann Platz für Nachtisch sein, wie auch immer der aussehen mag. Das ist die Botschaft dahinter. Unsere Idee: Wir sagen, was gegessen wird, Kinder bestimmen, wie viel davon. Es wird alles in Kleinst-Dosen probiert und dann entschieden, was okay ist. Denn: Die Verantwortung für die gesunde Ernährung des Kindes habe ich, nicht das Kind!

    b) Beziehung geht vor Recht haben, zu überzeugen ist nicht wichtig. Das sehe ich dann doch anders. Aus Verantwortungsgründen. Ich diskutiere beispielsweise nicht das Zähneputzen, versucht wird das hin und wieder, weil ja andere Dinge mehr Spaß machen. Und ich leiste da mit Blick auf das Alter der Kinder auch Überzeugungsarbeit. Mir ist wichtig, dass sie verstehen, warum ich darauf bestehe. Wenn sie dann maulen, halte ich das aus. Solche Themen gibt es einige. Auch mir geht es nicht ums Recht haben/bekommen, sondern darum, durch Überzeugen meiner Verantwortung gerecht zu werden – die Beziehung lebt ja auch davon.

    Im übrigen leben wir hier nicht das, was "man" so an Grenzen setzt, sondern wir definieren diese. Der Mann und ich senden jeweils Ich- bzw. Wir-Botschaften. Wir wollen es so und so. Oder: Wir wollen es so und so nicht. Das funktioniert.

  • Julia sagt:

    Na, da sind wir uns doch in sehr vielen grundlegenden Dingen einig. Herr Juul hat auch uns geprägt und begleitet. Und ob jetzt ein Kind erst Nachtisch essen darf oder nicht, finde ich keinen echten Streitpunkt. Bei uns gibt es gar nicht so viel Süßes, dass das ständig Thema wäre.
    Ich gebe Dir mit der Verantwortung voll und ganz Recht und das ist ja auch der Punkt, an dem ich mich nicht mit allen unerzogenen Familien einig bin.

    Wie Du bei Twitter schon bemerkt hast, spielt auch das Alter der Kinder eine große Rolle. Wenn meine Zweijährige partout nicht Zähne putzen will, kann ich sie nur gewaltsam zwingen, sie festhalten, den Mund aufdrücken. Das lehne ich, trotz meiner Fürsorgepflicht für ihre Zähne ab. Bisher ist es so, dass wir ihr sagen, dass es wichtig ist und Punkt. Aber ein- bis zweimal im Monat will sie einfach nicht und dann ist das eben so.

    Tatsächlich gibt es aber Situationen, bei denen ich nicht diskutiere. Und in den meisten Fällen müsste ich es dann auch gar nicht 😉 Meine Tochter merkt ziemlich genau, was wichtig ist. Sie würde nie auf die Straße laufen zum Beispiel.

    Danke, dass Du Dir so viel Zeit genommen hast. Ich hoffe, wir lesen uns noch öfter.

  • berta sagt:

    Wie hast du das denn dann bei ihr als Kleinkind gemacht?
    Ich bekomme die Zahnbürste in den Mund meiner einjährigen nur mit sanfter Gewalteinwirkung 🙂
    Dein Artikel ist nett. Ich stimme dir in so vielem zu. Manchmal bin ich so traurig über mich, weil ich mich dabei erwische, wie ich meine große Tochter im Streit klein mache… Ich bin manchmal so wütend. Finde mich dann schon in dem Moment doof und entschuldige mich auch bei ihr, aber in der Wut bin ich manchmal ätzend. Ich bewundere alle, die sich nie im Ton vergreifen und arbeite weiter an mir.

  • Julia sagt:

    Hallo Berta,

    Danke für Deinen Kommentar. Meine Tochter ist ja noch Kleinkind. Als ich den Artikel letztes Jahr schrieb war sie gerade 2 Jahre und gut drei Monate alt.
    Ich behaupte nicht, dass ich immer ruhig bin. Darum geht es auch nicht. Ich komme an und über meine Grenzen und auch ich entschuldige mich dann dafür. (siehe hier http://die-gute-kinderstube.blogspot.de/2014/12/die-sache-mit-der-autonomie-brief-meine.html)
    Oft schaffe ich es mittlerweile, in meiner Wut bei mir zu bleiben, statt meine Tochter schuldig zu machen. Ich sage dann z. B. "Mann, ich bin so frustriert und überfordert! Ich weiß gerade keine Lösung, ich krieg gleich zu viel!" Naja, ich schreie das dann wohl eher 😉
    Aber das finde ich auch ok. Sie darf ja auch schreien, wenn sie wütend ist.
    Zähneputzen ist hier auch immer wieder Thema. Leider. Ich hasse es. Wir hatten auch schon echt übel Streit deswegen. Manchmal ging es, wenn wir immer mal einen Abend ausgelassen haben. Dann hatte meine Tochter selbst mal die Idee, dass einer ihr vorliest, während der andere putzt. Wir haben schon kleine Filme auf dem iPhone geschaut und gesungen.
    Tatsächlich habe ich sie nur einmal festgehalten und mich gefühlt, als würde ich sie vergewaltigen. Daher würde ich das nicht mehr machen. Dann lieber keinen Zucker mehr, Xylit zur Kariesprophylaxe und immer wieder was Neues einfallen lassen.
    Ich wünsche uns viel Geduld!!

  • berta sagt:

    Danke für deine nette Antwort.
    Der empfohlene Text hat mir auch gefallen. Meine Tochter hat mich auch schon getröstet. Die sind so cool!
    Beim Zähneputzen hat bei uns tatsächlich immer geholfen dabei dieses blöde Lied zu singen: hin und her…. weggelassen habe ich's noch nie.
    Das ist für mich (als eine der wenigen Dinge) nicht verhandelbar. Habe selber viele kaputte Zähne und wünsche das keinem. Da muss man immer abwägen.
    Ganz liebe Grüße!

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