Was bedeutet bedürfnisorientiertes Familienleben für uns?
Obwohl ich zu den Menschen gehöre, die sehr viel lesen, recherchieren und sich informieren, kam ich vor der Geburt meiner Tochter nie mit den Begriffen Attachment Parenting oder Bedürfnisorientierung, unerzogen oder bindungsorientiert in Berührung. Wir lebten einfach und reagierten auf die neue Realität in der wir uns befanden. Wir wägten in vielen Situationen ab und trafen Entscheidungen, die wieder andere (sinnvolle) Entscheidungen nach sich zogen. Wir wuchsen zu einer Familie zusammen, ich wurde Mutter, mein Mann wurde Vater, wir lernten uns selbst und uns gegenseitig als Paar und Eltern neu kennen. Wie wohl bei den meisten Paaren, die zu Familien werden, war das eine sehr intensive, anstrengende, aber auch schöne Zeit. Jetzt, nach gut zwei Jahren stellt sich so langsam das Gefühl ein, unseren Weg gefunden zu haben und wir werden damit endlich auch wieder
selbstsicherer. Das sah zwischenzeitlich zugegebener Maßen ganz anders aus.
Der erste Schritt: Zuhause bleiben.
Beginnen wir am Anfang. Bereits im ersten Gespräch über das Kinderkriegen, waren wir uns einig, dass ich das erste Jahr nach der Geburt unseres Kindes zuhause bleiben würde. Dabei spielte nicht das Geld die entscheidende Rolle – zumal ich damals voll arbeitete, mein Mann dagegen noch im Studium war – sondern es war mein Herzenswunsch. Ich bin so froh und dankbar, dass wir mir diesen erfüllen.
Da mein Arbeitgeber dann während meines Mutterschutzes Insolvenz anmeldete, öffnete sich dieses Jahr zu einem noch nicht bestimmten Zeitraum. Mein Mann arbeitet mittlerweile und kann uns damit glücklicher Weise unterhalten, so dass wir keinen (großen) Druck haben, unsere Tochter durch
Fremde betreuen zu lasen.
Der zweite Schritt: Das Stillen
Ein wichtiger Schritt auf unserem Weg war mit Sicherheit das Stillen, das bei uns von Anfang an ganz problemlos klappte. Mein Vorsatz war: Ich werde ein halbes Jahr lang stillen, wie es empfohlen wird. Doch als das halbe Jahr um war, gab es schlicht keinen Grund, aufzuhören. Auch nach zehn
Monaten als die anderen stillenden Frauen, die ich kannte, abstillten, weil sie sich auf die Fremdbetreuung und das Arbeiten vorbereiteten, gab es bei uns keinen Grund dazu. Im Gegenteil: Genau zu dieser Zeit verweigerte das Tochterkind jeglichen Brei, so dass wir ihr einfach alles vom Familientisch anboten, wobei das Stillen weiter eine wichtige Nahrungsquelle war. Ich hatte
auch bereits so viel über die Vorteile des Stillens gelernt, dass ich mir sicher war, meiner Tochter damit das Beste zu geben.
Der dritte Schritt: Das Familienbett
Das Stillen nach Bedarf verträgt sich nicht gut mit dem Schlafen in getrennten Zimmern. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, denn wir haben es sogar versucht. Schließlich hatten wir ja ein Babybett im
Kinderzimmer und da sollte das Kind irgendwann doch hin, nicht wahr? Leider fand das meiner Tochter so gar nicht. War sie zuvor immer lachend und brabbelnd wach geworden, so weinte sie jetzt tags wie nachts immer sofort. Nach einigen sehr anstrengenden, kräftezehrenden Nächten war es mein Mann der sagte: „Hol sie doch einfach wieder zu uns!“ Schon zwei Tage später wachte unser Kind
wieder lachend auf. Unser Kind weinen zu lassen kam uns zum Glück niemals auch nur für Sekunden in den Sinn. Genauso hatten wir nie den Anspruch, dass sie Durchschlafen können oder allein in den Schlaf finden muss.
Schritt vier: Hintergrundinformationen
Ich begann einschlägige Literatur zu lesen, da wir sehr überrascht davon waren, dass unsere Tochter sich nicht mehr von meinem Mann ins Bett bringen ließ. Sie war damals zehn Monate alt und hatte gerade nach „Da!“ ihr erstes Wort „Papa“ gelernt. Den ganzen Tag fand sie es toll, mit ihrem Papa, doch sobald sie müde wurde wollte sie nur zu mir. Auf diese Weise brachte sie mir etwas über Bindungstheorie und Urvertrauen, Loslösung und Wiederannäherungskrise bei. Was sie mir mit ihrem Verhalten sagte, las ich zuerst im Buch von Dr. Rüdiger Posth: Vom Urvertrauen zum Selbstvertrauen. Er bestätigte das, was wir fühlten und so waren wir beruhigt und verließen wir uns weiter auf unser Bauchgefühl. Einige Zeit später las ich das erste Buch von Jesper Juul.
Schon seit meinem abgebrochenen Heilpädagogikstudium hatte ich vor, mal ein Buch von ihm zu lesen. Also lieh ich es aus, als ich es durch Zufall in der Stadtbücherei entdeckte. Was soll ich sagen? Ich war wirklich geflasht, weil da so viel stand, was ich auch empfand. Gleichzeitig gab es mir noch einige
Denkanstöße und ich las in den darauffolgenden zwei Wochen noch drei weitere Bücher von ihm. Zwar gibt es durchaus auch Aussagen Juuls, die ich nicht unterstütze, im Großen und Ganzen aber spricht er mir aus der Seele. Weiter Bücher anderer Autoren wie Gerald Hüther, William und Martha Sears, Marshall B. Rosenberg u.s.w. folgten. Auch Blogs, allen voran geborgen-wachsen.de, waren für mich wichtig, weil sie mir zeigten, dass wir mit unseren Entscheidungen nicht allein sind.
Schritt fünf: Die bewusste Haltung
Unsere Art, mit dem Tochterkind umzugehen, unsere Haltung hat also Begriffe bekommen und wurde uns dadurch bewusst. Wie sieht diese Haltung aus? Wir gehen davon aus, dass unsere Tochter uns gleichwürdig ist und dass sie sehr viele Dinge, die sie selbst betreffen gut einschätzen und
mitteilen kann. Sie weiß, wann sie Hunger hat, ob ihr kalt ist und ob sie müde ist. Ihre Wünsche werden in unsere Entscheidungsprozesse immer mit einbezogen. Wir sprechen mit ihr nicht viel anders, als wir miteinander sprechen. Zumindest versuchen wir das, auch wenn es (noch) nicht immer klappt. Gleichzeitig übernehmen wir da die Verantwortung oder „Führung“, wo wir merken, dass sie es
noch nicht kann. Das heißt nicht, dass sie alles darf – die größte Befürchtung Außenstehender. Natürlich haben wir unsere persönlichen Grenzen und auch Bedürfnisse, die sie achten soll. Genauso versuchen wir aber, ihre Grenzen zu achten. Dazu gehört auch, dass sie Nein sagen darf und wir das, wenn möglich,
respektieren.
In der nächsten Woche erzähle ich euch mehr zu unseren
Werten, Grenzen und dem Thema Konsequenz aus meiner Sicht.
Eure Julia aus der guten Kinderstube
Danke, Julia! Das ist sehr schön geschrieben und ich kann viele Parallelen zu unserer Familie darin finden.
Grüße, Nina
Ich danke Dir, Nina!